Be patient and you’ll get there faster
«Zeit ist das Wertvollste, was ein Mensch aufwenden kann.» Diogenes
Wie zeitklug handelst Du? Denn: Menschen, die zeitarm sind, sind weniger glücklich, weniger produktiv und weniger entspannt.
Oodi – Bibliothek in Helsinki. Warum ich diesen Ort als Arbeitsplatz ausgesucht habe, lest ihr weiter unten im Text.
In seinem Buch «The Practice of Groundedness» spricht Brad Stulberg von einer festgestellten Getriebenheit, dem Gefühl immer weiter und schneller machen zu müssen. Was dazu führt, dass viele durchs Leben hetzen und dabei immer weniger dort ankommen, wo sie sein möchten – weil auch dieser Punkt immer weiter und höher wegrückt.
Zeitarmut & Zeitkonfetti
Als hauptsächliche Probleme nennt Ashley V. Whillans im Artikel «Zeit finden» (in Psychologie Heute 10/2021) folgendes:
Zeitarmut ist im Allzeithoch & das Zeitkonfetti-Phänomen (Fragmentierung der Zeit in kleine Schnipsel) verbreitet.
Sie schreibt:
Es liegt daran, dass Zeitarmut nicht notwendigerweise aus einem Missverhältnis zwischen den Stunden, die wir haben und den Stunden, die wir brauchen, erwächst. Sie resultiert daraus, wie wir über diese Stunden denken und wie wir sie wertschätzen. Es ist ebenso eine Frage der Psychologie wie der Struktur. Wir arbeiten vielleicht nicht mehr Stunden als früher, aber wir arbeiten zu jeder Stunde. Wir sind unablässig verbunden. Und wenn wir einen Moment kostbarer Freizeit haben, sind wir nicht darauf vorbereitet, sie zu nutzen, also verschwenden wir sie. Oder wir gönnen uns die Pause nicht und arbeiten durch.
Diese Fragmentierung laugt uns aus und es wird immer schwieriger, lange Blöcke freier Zeit zu geniessen, ohne sich durch digitale Gadgets ablenken zu lassen. Kürzlich habe ich in einem Artikel von Menschen gelesen, die mittlerweile Mühe haben, ein Buch zu lesen. Und die eigentlich immer Viellesende waren. Aber die Verfügbarkeit von konstanten Neuigkeiten – auf welchen Kanälen auch immer – lässt sie dauernd aus ihrer Lektüre auftauchen und geradezu gierig nach der Abwechslung greifen. Deshalb schaffen es die Devices auch an die erste Stelle der Zeitfallen.
Zeitfallen
- Ständige Verbindung
- Besessenheit von Arbeit und Geld
- Unterbewertung von Zeit
- Geschäftigkeit als Statussymbol
- Trägheitsaversion
- Verzerrte Zeitperspektive
Die Autorin thematisiert in ihrem Artikel sechs Zeitfallen, die es zu erkennen gilt und wie man mit entsprechenden Massnahmen Gegensteuer geben kann. Sie nennt dies «zeitklüger werden».
Ich habe mir ein paar Gedanken dazu gemacht, ob ich zeitklug handle und wo Verbesserungspotential liegt.
Einige Überlegungen zum Umgang mit den Zeitfallen
1. Ständige Verbindung
Technik und Erreichbarkeit fragmentieren unser Arbeitsleben und die Freizeit. All diese Zeitschnipsel erzeugen Stress.
Bei mir persönlich ist nicht eigentlich die Technik die häufigste Art der Ablenkung. Ich nutze nur eine limitierte Anzahl von Apps und das Mobiltelefon kann ich sehr gut in der Tasche lassen, wenn ich unterwegs bin. Mich lässt die Verfügbarkeit von verschiedenen Artikeln und Büchern zwischen den Themen hin- und her switchen. Obwohl: ohne e-books wäre das gar nicht so verführerisch.
Ich mag Abwechslung. Aber dieses Verhalten führt dazu, dass ich einen Haufen an angefangenen Gedanken & Ideen habe, aber oftmals nur wenige richtig zu Ende führe. Das endet in zahlreichen angefangenen Blogartikeln, von denen es nur wenige bis zur Publikation schaffen. Hier experimentiere ich mit neuen Verhaltensweisen. Dazu gehört, mich mit nur den nötigsten Arbeitsmaterialien an einen anderen Ort zu begeben – beispielsweise in ein Café oder in die Bibliothek (Oodi – ein hervorragendes Bibliothekskonzept aus Helsinki, seht ihr im Beitragsbild) – und konstant am Schreiben dranzubleiben. Erste Versuche haben sich als produktiv entpuppt.
2. Besessenheit von Arbeit und Geld
Es herrscht die Annahme vor, dass Geld glücklicher macht als Zeit.
Dazu habe ich im Buch von Oliver Burkeman über die verrechenbare Stunde gelesen. Wegen dem monetären Wert, der einer gearbeiteten Stunde zugewiesen wird, stellt man jede freie Stunde einem möglichen Verdienst gegenüber. Deshalb zieht die freie Stunde oft den kürzeren, weil der Wunsch nach mehr Geld überwiegt. Aber zu Zufriedenheit und Glück tragen eben mit sozialer Interaktion oder geliebten und entspannenden Aktivitäten verbrachte Stunden viel mehr bei.
In einem Buch habe ich einen schönen Satz dazu gelesen: Nicht jeder kann mit seinem Element Geld verdienen, aber jeder kann durch sein Element bereichert werden.
Diese Erkenntnisse versuche ich in meinen Umgang mit verrechenbaren Stunden zu berücksichtigen.
3. Unterbewertung von Zeit
Zeit verschwenden, um irgendwo bei einem Schnäppchen Geld zu sparen.
Hier stellen sich die vielgenannten Maximizer selbst ein Bein: die Opportunitätskosten einer scheinbar besten Lösung werden vernachlässigt (in ökonomischer Sprache ausgedrückt). Im Stress verbrachte Zeit für ein bisschen Geld rechnet sich nicht.
Für den Maximizergedanken bin ich glücklicherweise nicht sonderlich empfänglich. Besonders beim Reisen profitiere ich davon. Suche ich eine Unterkunft, bin ich eine Schnellentscheiderin. Nach den ersten passenden Bildern und Beschreibungen drücke ich die Buchung ab. Mit meiner Option bin meistens sehr zufrieden und grüble wenig über Alternativen nach. Und sollte es einmal nicht so toll sein, ist es eh nur temporär und nichts, was einem die Laune an einem neuen Ort verdirbt.
4. Geschäftigkeit als Statussymbol
Busy ist das Grundgefühl. Wer es nicht ist, wird auch nicht gebraucht.
Wer nicht einmal ausgebrannt ist, hat nie richtig gebrannt? Busy sein als Messgrad für die eigene Wichtigkeit? Wie heisst es so schön: «Operative Hektik ersetzt geistige Windstille.» Ich versuche daher nach dem ROWE Prinzip – Result Only Working Environment zu arbeiten. Busy sein ist einfach, Wert schaffen schwierig. Bei diesem Thema versuche ich sehr gerne den schwierigen Weg zu gehen.
5. Trägheitsaversion
Tun um des Tuns Willen. Erholung wird nicht wertgeschätzt und «Schlafen kannst du, wenn du tot bist»-Heldentum wird gefeiert.
Glücklicherweise haben wissenschaftliche Erkenntnisse den Schlaf aus seinem Dornröschendasein herausgeholt. Um leistungsfähig zu bleiben, braucht unser Gehirn eine ausreichende Dosis davon. Eine erfreuliche Nachricht für eine Langschläferin wie mich. Und dabei bin ich nicht allein. Wer sich zu diesem Thema geistreich unterhalten lassen möchte, liest das Buch «Ab ins Bett» von Katharina Kunzmann. Und macht danach ein Nickerchen. Auch im Buch «Pause» von Alex Soojung-Kim Pang gibt es Inspiration, wie längere und kürzere Erholungsphasen gestaltet werden können. Es gibt auch Beispiele wie wirklich kluge Köpfe dies für ihre konstante Produktivität genutzt haben. Einstein, Darwin etc. lassen grüssen.
6. Verzerrte Zeitperspektive
Wir sind überoptimistisch was den zukünftigen Zeitvorrat angeht. Dadurch gehen wir zu viele zukünftige Verpflichtungen ein.
Das mit den Verpflichtungen merke ich jeweils, wenn mich der Gedanke «warum habe ich das nur abgemacht» packt . Hier habe ich noch viel Luft nach oben. Im Moment der Buchung oder Anmeldung hört es sich nach einer spannenden Gelegenheit ein. Aber es gilt eben auch, klug auszuwählen und wie es im Buch 4000 Wochen von Oliver Burkeman heisst: den Verlockungen der mittleren Prioritäten widerstehen. Mich immer wieder fragen: was ist das Wichtigste und meine Energie und Zeit konsequent für diese wenigen Themen einsetzen. Daran arbeite ich noch.
Bei all dem Experimentieren, um die eigene Zeitklugheit zu verbessern, gilt es stets zu beachten:
«Hab Geduld in allen Dingen, vor allem aber mit dir selbst.» Franz von Sales
Mehr lesen:
Geniesst Eure Zeit. Wie sehen Eure Entdeckungen, Erkenntnisse und der Umgang mit Zeit aus? Ich freue mich über Feedback und Kommentare. Es darf auch gerne eine Empfehlung für weitere spannende Themen sein.
Eure Gaby
#Inspire&Design
Aus diesen Büchern habe ich viele Erkenntnisse und Ideen für eigene Experimente gewonnen:
- Oliver Burkeman – 4000 Wochen
- Brad Stulberg – The Practice of Groundedness
- Paul Loomans – Ich habe Zeit
- Karlheinz & Jonas Geissler – Time is honey
- Thomas Hohensee – Ganz einfach Zeit haben
- Alex Soojung – Kim Pang – Pause
- Christine Stenger – Lassen Sie Ihre Zeit nicht unbeaufsichtigt