Morgen werden wir 100

Die Überlegungen des Buches haben mich sehr angesprochen: wenn ich die Gene meiner beiden Grossmütter geerbt habe und nicht unvorsichtig unter ein Tram laufe, ist 100 werden für mich ein durchaus realistisches Szenario.

Wie gestalte ich diese zukünftigen Lebensjahre? Was tut mein heutiges Ich, damit meine zukünftigen Ich’s in den unterschiedlichen Zeitspannen gesund, wertebasiert, selbstbestimmt und finanziell abgesichert leben können?

Um Antworten zu finden, bietet das Buch Inspiration und konkrete Ansätze. Es ist informativ und unterhaltsam zugleich. Auf wissenschaftlichen Daten basiert werden mögliche Lebensszenarien entwickelt.

Kapitel & Hauptaussagen

1    Geschenk des langen Lebens
Statistiken, Trends und wissenschaftliche Studien zur Lebenserwartung

2   Finanzierung
Jack, Jimmy und Jane, geboren 1945, 1971 und 1998: anhand ihrer Situation werden die finanziellen Aspekte erörtert;
Finanzcracks kommen auf ihre Kosten; ein Augenöffner für Leser:innen mit weniger Wissen über Renten

3   Arbeitswelt
In 100 Jahren passiert viel!
Schlüsselkompetenz: mit Unsicherheit zurechtkommen;
Enthält Informationen zu verschiedenen Branchen und  technologischem Wandel

4   Immaterielle Vermögenswerte
Einführung dieses Begriffs (siehe separater Kasten)

5   Mögliche Ichs
Szenarien für die Lebensläufe der 3 Protagonisten

6   Neue Bausteine
Zum Entdecker werden, Optionen erkunden, Experimentieren, Prototyping, Freier Produzent, Unternehmer, Portfolio-Worker

7   Finanzierung des langen Lebens
Die eigene finanzielle Handlungsfähigkeit sicherstellen; psychologische und wirtschaftliche Tipps

8   Freizeit als Neuerfindung seiner selbst
Das lange Leben bringt grössere Diversität bei der Strukturierung von Zeit

9   Der Wandel des Privatlebens
Szenarien für Beziehungen und Familien

Für die beiden Autoren hat das bisherige Drei-Stufen-Modell – Schule & Ausbildung, Erwerbstätigkeit, Ruhestand – ausgedient . Dies einerseits wegen dem finanziellen Aspekt: in einer 40-jährigen Erwerbstätigkeit gelingt es nicht mehr genügend Mittel anzusparen, um einen fast 40-jährigen Ruhestand zu finanzieren. Andererseits haben sich die gesundheitlichen Bedingungen verbessert. Länger als bis 65 aktiv zu sein und einen Beitrag zu leisten ist nicht nur möglich, sondern von vielen auch gewünscht. Bereits heute üben zahlreiche Rentner:innen ehrenamtliche Tätigkeiten aus oder haben einen Sitz in unterschiedlichen Gremien.

Die laufenden politischen Debatten zeigen die Brisanz des Themas. Die Diskussionen über das anstrengende und überfordernde Arbeitsleben ebenso. In den heutigen Strukturen bis 85 zu arbeiten, löst keine Euphorie aus.

Ein vielstufig aufgebautes Leben

Man stelle sich einen heute 20-jährigen Menschen vor, mit weiteren 80 Jahren vor sich. Was in dieser Zeit alles geschehen, sich verändern und entdeckt werden kann, ist aus heutiger Sicht nicht abzuschätzen. Man mache sich nur mal bewusst, was sich in den letzten 80 Jahren alles getan hat. Diese lange zukünftige Lebensspanne ist jedoch eine Zukunftsaussicht für viele Menschen.
Auch für Leute wie mich – in der Halbzeit sozusagen – wirft dies einiges an Fragen für den weiteren Weg auf. Wie kann dies angegangen, bewältigt aber auch genossen werden?

Die beiden Autoren schlagen ein neues Denken über das Strukturieren des Lebens vor.

Statt nur drei Stufen ergibt sich eine Vielstufigkeit mit unterschiedlichen Schwerpunkten:

• Lernen & Entwickeln
• Familienorientierung
• Erwerbsleben zum Aufbau von materiellen Vermögenswerten
• Zeit für Investition in immaterielle Vermögenswerte
• Aufbau von Transformationspotential

Anders als im heutigen Model wird es über die Lebensspanne verteilt unerlässlich sein, sich neue Qualifikationen anzueignen. Die Autoren führen dafür das Konzept der Zeit für Investition in immaterielle Vermögenswerte (siehe Kasten unten) ein. Dabei geht es darum, sich aus dem anstrengenden Arbeitsprozess herauszunehmen und auf die Weiterentwicklung – fachlich, persönlich, sozial – zu setzen. Mit dieser Investition kann nachher mit einer sich veränderten beruflichen Tätigkeit wieder Nutzen geschaffen werden.

Experimentierbereitschaft wird vonnöten sein. Entdecker, Portfolio-Szenario, Encore career, freie Produzenten – neue Modelle werden Einzug halten. Wie dies aussehen kann, wird anhand möglicher Lebenswege beschrieben.

Mein Eindruck des Buches

Das Buch liest sich flüssig, es ist in einer schnörkellosen, ansprechenden Sprache verfasst. Es enthält zahlreiche wissenschaftliche Fakten und Berechnungen um den eingenommenen Standpunkt zu erläutern, wirkt aber nicht abgehoben oder kompliziert.

Kritische Punkte sind ebenfalls aufgegriffen: der politische Diskurs, der mögliche Graben zwischen Wissensarbeitenden und Beschäftigten in strukturierteren Unternehmen und Branchen, die hohe Unvorhersehbarkeit.

Es ist ein lösungsorientiertes und zum Denken und Handeln anregendes Buch, basierend auf einer positiven optimistischen Grundhaltung. Die Begeisterung der Autoren für die zahlreichen Möglichkeiten der Lebensgestaltung ist spürbar.

Bereits in der Einleitung gibt es einen Überblick der Chancen und Herausforderungen: ein gelungenes «Amuse Bouche». Mir hat es nach diesen ersten Seiten den «Ärmel reingenommen»: ich habe das Buch in einem Rutsch gelesen. Wow- und Aha-Effekte sind garantiert.

Immaterielle Vermögenswerte (VW)
Sind nicht für Geld zu haben (Familie, Freunde, Gesundheit, Kenntnisse); besitzen einen Eigenwert, helfen aber auch materielle Vermögenswerte zu schaffen:
Produktive VW
Wissen, Kreativität, Soft Skills, Flexibilität, Netzwerk & Beziehungen, guter Ruf, etc.
VW der Vitalität
Gesundheit, Freundschaften, emotionale Stabilität
Transformationale VW
Fähigkeit Übergänge zu meistern, neue Netzwerke knüpfen

Was nehme ich persönlich mit aus diesem Buch

Für mich persönlich ist das Buch voller Inspiration für das Experimentieren mit neuen Möglichkeiten in meinem eigenen Leben. Ich stehe in der Mitte der Reise, mit einer Vergangenheit aus dem Drei-Stufen-Modell: Ausbildung, Erwerbstätigkeit in Festanstellung im Vollzeitpensum, Weiterbildungen.
Jetzt steige ich um mit dem Ziel, ein Berufsleben als Freelancer respektive Solo-Selbständige aufzubauen. Deshalb hat mich das Konzept der Zeit für Investition in immaterielle Vermögenswerte sehr angesprochen: sich die Ruhe gönnen um sich diesem wichtigen Aspekt ausgiebig zu widmen.

In den vergangenen Wochen und Monaten habe ich nicht nur neue Fähigkeiten erlernt, sondern auch soziale Kontakte gepflegt und mein Netzwerk erweitert. In dieser Konstellation darf es für mich gerne noch viele Jahre weiter gehen!

Zum Schluss

Fünf Adjektive: vielseitig, lösungsorientiert, verständlich, unterhaltsam, wissenschaftlich

Ein Satz: «Will man jedoch aus einem langen und vielstufigen Leben das Beste machen, muss man flexibel sein, sich neues Wissen und neue Qualifikationen aneignen, neue Denkweisen erkunden und neue Perspektiven entwickeln, aber auch die Fähigkeit, sich mit veränderten Machtpositionen zu arrangieren, sich von alten Mistreitern zu lösen und neue Netzwerke aufzubauen.»

Die Autoren: Lynda Gratton, Psychologin & Andrew Scott, Wirtschaftswissenschafter; lehren beide an der London Business School

Wer sollte das Buch lesen?

 So definieren die Autoren ihr Zielpublikum:

«Wir haben dieses Buch für Menschen geschrieben, die wissen, dass die Vergangenheit keine prognostische Kraft für die Zukunft besitzt; für Menschen, die etwas über Chancen und Optionen statt über Zwänge und Risiken erfahren möchten;  für Menschen, die das Erwerbsleben, das sie jetzt und in Zukunft führen, positiv beeinflussen möchten; für Menschen, die alles dafür tun wollen, damit ihr langes Leben zum Geschenk statt zum Fluch wird.»

Seid Ihr auf den Geschmack gekommen? Viel Vergnügen beim Lesen und Entwickeln von eigenen Ideen für die Zukunft. Ich freue mich über Feedback und Kommentare. Es darf auch gerne eine Empfehlung für weitere spannende Bücher sein.

Eure Gaby
#Booklovers