Sinn in Unternehmen – wie es gelingen kann

Die Führungskräfte der 80er und 90er Jahre standen unter dem Druck, eine Vision und ein Mission-Statement für ihr Unternehmen zu entwickeln. Unter ähnlichem Druck fühlen sich Führungskräfte heute – nur dass von ihnen erwartet wird, ihr Unternehmen zusätzlich mit einem tieferen Sinn auszustatten, einem sogenannten Purpose.

Sinnstiftend für mich: Entdeckergeist. Das Foto ist von einer Zeichnung von Markus Beer, bei dem ich einen Scribble-Kurs besucht habe.

Das einleitende Zitat – wie auch zahlreiche folgende – stammt aus dem Artikel «Auf der Suche nach dem Sinn» – Wie Sie in fünf Schritten ein glaubwürdiges «Warum» für Ihr Unternehmen definieren. Von Jonathan Knowles, B.Tom Hunsaker, Hannah Grove und Alison James. Erschienen im Harvard Business manager vom März 2023.

Angesprochen am Artikel hat mich die vielschichtige Herangehensweise an das Thema, die Zusammensetzung des Autor:innenteams (sie kommen aus den Bereichen Marketing, Personal, Global Business und Strategie) sowie ein verständlicher Leitfaden für die Umsetzung im eigenen Unternehmen.

Die Sinnfrage – sei es im eigenen Leben oder im Unternehmen – wie gehen wir damit um?

Die Sinnfrage ist zentral im menschlichen Leben. Sie taucht in unterschiedlichen Phasen (immer wieder) auf und generiert je nach Situation unterschiedliche Antworten. Meine letzte intensive Auseinandersetzung mit dem Sinn hatte ich beim Start meiner Selbständigkeit. Da habe ich mir viele Gedanken zu meinen Werten und Stärken gemacht. In welchem Umfeld kann ich mich am besten und wertgenerierend einbringen? Was wünsche ich mir vom Umfeld, damit ich meinen Einsatz als sinnvoll erlebe? Es ist nicht einfach, hier eine präzise und stimmige Antwort zu finden.

Dass Sinn nicht nur mich umtreibt, habe ich in einem Gespräch mit einem Kollegen erfahren. Auf die Frage, warum er seine Arbeitsstelle gekündigt habe, meinte er: «Das Unternehmen hat keine Seele.» Alles sei aufs reine Geldverdienen ausgerichtet gewesen. Das reiche ihm eben nicht.

Wo gibt es Antworten?

Auf meiner Suche, habe ich das Buch von Alain de Botton «Freude und Mühen der Arbeit» gelesen. Er umreisst, warum Sinn für uns so wichtig ist:

Wann wird eine Arbeit sinnvoll? Sobald sie es uns ermöglicht, Freude zu wecken oder Leid zu mindern. Auch wenn uns oft nachgesagt wird, dass wir zutiefst egoistisch sind, bleibt der Wunsch nach sinnvoller Arbeit so hartnäckig Teil unserer selbst, wie das Verlangen nach Prestige oder Geld.

Wir können einwenden: «Sinn finden» ist ein Luxusproblem. Wer um sein Überleben kämpft, ist dankbar für jede Arbeit. Und wir mögen die Nase rümpfen über Menschen, die sich scheinbar «banalen» Dingen zuwenden, weil wir es unter der Rettung der Welt nicht machen wollen. Sobald aber der Müll in der glühenden Sommersonne liegen bleibt, wird vom überheblichen Naserümpfen nichts mehr bleiben. Dann wird schnell klar, dass eine funktionierende Abfallentsorgung durchaus sinnvoll für das Gemeinwohl ist.

Das sieht auch Alain de Botton so:

Allerdings sollten wir uns hüten, das Konzept sinnvoller Arbeit zu eng zu fassen und uns dabei ausschließlich auf Ärzte zu konzentrieren, auf die Nonnen von Kalkutta oder die Alten Meister.

Das Phänomen mit seinem Unternehmen nach Grösserem streben zu wollen – wie beispielsweise die Erschliessung des Weltalls und die Besiedelung anderer Planeten – scheint verbreitet und oftmals dargestellt als der einzig gültige Sinn. Wobei. Ist das so? Und auch glaubwürdig? Und wie sehen das die «näheren Stakeholder»?

Auch die Rettung der Welt mag ein hehres Ziel sein. Doch gibt es überhaupt Unternehmen mit den Möglichkeiten, dies wirklich zu schaffen? Und wie glaubwürdig ist ein solches Sinn-Statement im Vergleich mit den täglichen Aktivitäten? Schauen wir uns an, welche Empfehlungen der Artikel zu diesen Fragen abgibt.

Warum der Sinn wichtig ist für Unternehmen

Für die Zukunft von erfolgreichen Unternehmen geht es um das Zusammenbringen von für Menschen wichtigen Themen mit dem wirtschaftlichen Erfolg:

Larry Fink, CEO der Investmentgesellschaft Blackrock, und andere Investoren empfehlen Führungskräften, eine Daseinsberechtigung für ihr Unternehmen zu definieren, die über reines Gewinnerzielen hinausgeht. In den Augen der Investmentprofis erhöht dies den Marktwert von Unternehmen erheblich.

Geht es doch wieder nur ums Geld? Nebst Greenwasching auch Purposewashing?

Nicht nur, sondern sowohl als auch. Die Frage nach dem Sinn ist eine treibende – für das Individuum wie auch Organisationen. Sein eigenes Wertesystem kennen und wissen, wie Sinn für einen selbst entstehen kann, ist ein fortwährender Prozess. Und verändert sich im Laufe des Lebens auch immer wieder. Vielleicht grundsätzlich, vielleicht nur in Nuancen. Aber um Stimmigkeit im Leben zu empfinden, ist es wichtig, sich mit diesen Themen immer wieder auseinanderzusetzen, um ein erfülltes (Berufs)leben zu führen. Dies eben auch in Organisationen, um dem Einzelnen eine sinnerfüllte Umgebung zu geben.

Was können Unternehmen tun, um mit dem Thema Sinn sinnvoll umzugehen?

In ihrem Artikel geben die Autoren Hilfestellung dazu.

Die Purpose-Typen:

  • Kompetenz: Der Nutzen unseres Produkts
  • Soziales Anliegen: Unser Beitrag zum Gemeinwohl
  • Kultur: Wie wir arbeiten

Es muss nicht unbedingt das Gemeinwohl sein:

Den eigenen Leitstern zu definieren hat sicher Vorteile für verbraucherorientierte Unternehmen. Doch nur wenige andere verfolgen tatsächlich einen höheren Zweck, auf den sie sich glaubhaft berufen können. Schwierig ist das vor allem für Unternehmen in B2B-Branchen wie der Rohstoffindustrie, Energieproduktion, Investitionsgüterherstellung, im gewerblichen Transportwesen oder bei Geschäftsdienstleistungen.

Eine starke Kultur reicht oft aus:

Die derzeitige Fixierung auf den Purpose setzt Verantwortliche unter Druck, ein «gutes» Unternehmen zu führen. Manchmal genügt es jedoch, das Unternehmen gut zu führen.

Purpose ist kein Marketinggag:

Wenn Unternehmen nicht glaubwürdig vermitteln können, dass sie einen gesellschaftlichen Beitrag leisten oder sich für einen sozialen Zweck engagieren, ist das nicht schlimm. Sie sollten sich damit zufriedengeben, die funktionellen und emotionalen Bedürfnisse der Kunden zu befriedigen – das ist als Geschäftsgrundlage vollkommen ausreichend.

Der Purpose beschreibt das Wesen des Unternehmens, und er soll verschiedene Stakeholder überzeugen – anders als Marken, die die Kundschaft in erster Linie zum Kauf bewegen sollen.

Leitfaden zum Finden von Purpose

Der Artikel gibt eine Anleitung, wie Unternehmen beim Definieren von Purpose vorgehen können.

Stakeholder identifizieren

Es gibt verschiedene Ansprüche im Unternehmen. Die Autoren teilen dies auf in

  • Erzeugen von Nachfrage
  • Mitarbeitermotivation
  • Unternehmensführung & Nachhaltigkeit
  • Strategie & Unternehmensbewertung

In einer Arbeitsgruppe sollten diese Gruppen entsprechend vertreten sein, damit ein ausgewogenes Resultat entsteht.

Definition von Purpose klären

Die drei Purpose-Typen sollen diskutiert und ihre Relevanz für die einzelnen Stakeholder besprochen werden. Glaubwürdigkeit hat dabei oberste Priorität.

Purpose & Strategie zusammen denken

Welche Geschäftstreiber für die kommenden Jahre gibt es und wie kann der Purpose dazu beitragen.

Silodenken überwinden

Purpose darf nicht von Eigeninteressen und Opportunismus geleitet sein. Ein konstanter Austausch auch mit den Stakeholdergruppen soll einen authentischen Purpose fördern.

Den Purpose leben

Es gilt neue, dem Purpose entsprechende Verhaltensweisen zu etablieren, vorzuleben und zu gestalten. Dafür muss der Purpose in alle Bereiche integriert sein: Leistungsbeurteilungen, Beförderungen, Personalgewinnung, Geschäftsentscheidungen, Unternehmenskultur etc. Der Transfer in die «Wirklichkeit» ist wie immer in einem Changeprozess schwierig.

Sein volles Potenzial kann der Purpose nur entfalten, wenn er mit dem Wertversprechen des Unternehmens einhergeht und interne wie externe Akteure hinter einem gemeinsamen Ziel vereint. Im besten Fall ist der Purpose der stärkste Mechanismus, um alle Stakeholder mit an Bord zu holen. Ist er jedoch schwammig, missverständlich oder manipulativ formuliert, erreicht er bereits in kurzer Zeit genau das Gegenteil. Es steht also viel auf dem Spiel. Die Suche nach dem richtigen Purpose sollte für Unternehmen deshalb oberste Priorität haben.

Kein leichter Weg, aber ein sinnvoller

Leicht wird es nicht, den Sinn zu definieren und zu leben. Sich auf den Weg zu machen und sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen, lohnt sich dennoch.

Weil mir jetzt der Kopf schwirrt, ob all dem Sinn – oder Unsinn? – und der Anstrengung, sich immer wieder damit auseinanderzusetzen, lasse ich noch einmal Alain de Botton zu Wort kommen. Er hat sein Buch über die Arbeit mit einem Augenzwinkern abgeschlossen:

Unsere Arbeit wird uns zumindest abgelenkt haben, wird die perfekte Seifenblase gewesen sein, auf die wir all unser Trachten nach Perfektion setzten, wird unsere uferlosen Sorgen auf ein paar vergleichsweise überschaubare, erreichbare Ziele gerichtet und uns das Gefühl gegeben haben, etwas geleistet, uns rechtschaffen müde gemacht und etwas zu essen auf den Tisch gebracht zu haben. Und sie hat uns größere Schwierigkeiten erspart.

Weiteres Interesse am Thema? Hier meine Leseempfehlungen:

  • Alain de Botton: Freuden und Mühen der Arbeit
  • Christian Uhle: Wozu das alles? Eine philosphische Reise zum Sinn des Lebens
  • Albert Kitzler: Philosophie to go; Wie lebe ich ein gutes Leben?; Leben lernen – ein Leben lang
  • Harvard Business Manager März 2023: Auf der Suche nach dem Sinn

Wie sehen Eure Entdeckungen, Erkenntnisse und der Umgang mit dem Sinn aus? Ich freue mich über Feedback und Kommentare. Es darf auch gerne eine Empfehlung für weitere spannende Themen sein.

Eure Gaby
#ModernCFO #Learn&Grow